Wegen ihrer verborgenen Lebensweise ist es nicht immer offensichtlich, aber Muscheln in Süßgewässern gehören zu den am meisten bedrohten Arten der Welt. Die Muscheln haben einen interessanten Lebenszyklus mit einer parasitären Phase auf einem Fisch wo die Muschellarve die Metamorphose zu einer Jungmuschel vollzieht. Bis jetzt war sehr wenig über den Status quo der Muschelfauna in Europa bekannt, da keine Informationen über die Bestandsgrößen dieser Unterwasserorganismen zur Verfügung standen. Die von den verschiedenen Ländern verwendeten unterschiedlichen Erhebungsmethoden verschärften das Problem. Erstmalig wurde nun eine Übersichtsstudie über die 16 in Europa vorkommenden Süßwassermuschelarten erstellt und in der Zeitschrift "Biological Reviews" veröffentlicht. Das Projekt wurde von Forschern des Interdisziplinären Zentrums für Meeres- und Umweltforschung (CIIMAR) in Portugal und der Technischen Universität München (TUM) koordiniert.
Immerhin beherbergt Luxemburg 7 Großmuschelarten und Co-Autoren auf luxemburger Seite waren Mitarbeiter von natur & ëmwelt Fondation Hëllef fir d'Natur, welche die neuesten Informationen über den Stand der Süßwassermuschelfauna in Luxemburg liefern konnten. Seit nunmehr fast 10 Jahren setzt sich natur & ëmwelt Fondation Hëllef fir d'Natur stark für den Erhalt der letzten Flussperlmuscheln (Margaritifera margaritifera) und Bachmuscheln (Unio crassus) in Luxemburg ein. Im Rahmen von zwei LIFE-Natur Projekten werden hierfür auch Tiere an der Kalborner Mühle im Norden Luxemburgs erforscht und nachgezüchtet (siehe auch: www.unio.lu).
Eine zentrale Rolle in unseren Gewässern
Die drei Hauptautoren der Studie, Manuel Lopes-Lima und Ronaldo Souza vom CIIMAR und Professor Jürgen Geist vom TUM, beschreiben wie wichtig Muscheln für aquatische Ökosysteme sind:
Sie stellen rund 90 Prozent der Biomasse, die im und auf dem Gewässergrund vorkommt. Darüber hinaus filtern Muscheln das Wasser und haben einen großen Einfluss auf die Wasserqualität. "Weil eine einzelne Muschel bis zu 40 Liter Wasser pro Tag filtert ", berichten die Autoren, "profitieren wir Menschen auch von den Ökosystemdienstleistungen, welche die Muscheln uns bereitstellen". Je sauberer die hartschaligen Tiere ein Gewässer halten, umso mehr wirbellose Organismen neigen dazu, sich dort anzusiedeln. Aufgrund ihrer entscheidenden Rolle im aquatischen Lebensraum würde das Aussterben dieser natürlichen Wasserfiltrierer in Flüssen und Seen schwerwiegende Auswirkungen auf die aquatischen Lebensräume haben.
Merkmale
Was brauchen also unsere Süßwassermuscheln, von denen einige Arten über ein Jahrhundert lang leben können, zum überleben? Das Netzwerk der Forscher aus den 26 beteiligten Ländern sammelte Informationen zu den Anforderungen die unsere heimischen Muscheln an ihren Lebensraum stellen um folgende Fragen zu beantworten:
- Wo kommen welche Arten vor?
- Wie sehen die Bestandsgrößen aus?
- Wie stehen die einzelnen Arten untereinander in Bezug?
- Was sind ihre bevorzugten Lebensräume?
- Was sind die größten Bedrohungen für ihr Überleben?
Ein Ergebnis der europaweiten Studie ist das Ausmaß der Unterschiede zwischen Nord- und Süd-Europa aufzuzeigen. Es gibt weniger Arten im Norden von Europa, zum Beispiel in Skandinavien, aber die Populationen sind größer. Im Gegensatz dazu hat Südeuropa mehr Arten, aber einige von ihnen sind nur in einer Handvoll Gewässern zu finden. Dies kann auf der Tatsache beruhen, dass sie auf nur eine Fischart spezialisiert sind und wenn diese Art z.B. nur auf der Iberischen Halbinsel vorkommt, können die Muscheln, die von ihr abhängen, auch nur hier vorkommen. Darüber hinaus wirken Gebirge wie die Alpen und Pyrenäen als geografische Barrieren. "Stirbt im Süden eine lokale Muschelpopulation aus, so kann dies den Verlust der Hälfte der Weltbevölkerung bedeuten", erläutern die Wissenschaftler.
Welche Lebensräume bevorzugen die Muscheln?
Die Tatsache, dass sich einige Muschelarten über ganz Europa verteilt und verschiedene Stämme ausgebildet haben, hängt zum einen mit den Eiszeiten und Warmperioden zusammen, aber zum anderen auch mit der Verteilung ihrer Wirtsfische und der Eroberung neuer Lebensräume. Darüber hinaus stellten die Wissenschaftler fest, dass weniger anspruchsvolle Muschelarten sich erfolgreicher verbreiten können und schneller und besser auf verschiedene Veränderungen in der Wasserqualität ihrer Gewässer reagieren. Ähnlich wie Menschen bevorzugen manche Arten wärmere, stille Gewässer, während andere Stämme sehr tolerant sind und in kalten Flüssen ebenso gut überleben wie in Bächen oder Seen.
Was sind die Gefahren für die europäischen Muscheln?
Die Autoren fassen außerdem die Hauptgefahren für die jeweiligen Arten in ihrem Bericht zusammen:
- Talsperren, Wehre und Dämme
- Verschmutzung und Überdüngung der Gewässer
- Verschlammung und Verstopfung der Gewässersohle
- Verlust von Wirtsfischarten
- Ausbreitung von invasiven Arten
- Wassergewinnung und Klimawandel
- Die Suche nach Perlen (für bestimmte Arten)
- andere bisher unbekannte Stressfaktoren
Um langfristig die Erhaltung von Süßwassermuscheln in ihren aquatischen Ökosystemen und ihre Funktionen zu gewährleisten, empfehlen die Autoren, dass detaillierte wissenschaftliche Pläne mit festgelegten Ziele ausgearbeitet werden. Gezielte Schutzmaßnahmen, sollten sowohl für Populationen die aus evolutionärer Sicht wichtig sind, und deren Bestände bereits um 90 Prozent geschrumpft sind, durchgeführt werden, aber auch in Gewässern mit einem hohen Maß an Muschel-Artenvielfalt sowie in Gewässern mit gesunden Muschelbeständen und intakten Lebensräumen. Da die Muscheln hochgradig von ihren Wirtsfischen abhängig sind und auch deren Bestände häufig zurückgehen, muss auch vielen Fischarten eine besondere Beachtung zukommen, auch wenn es sich dabei um Fischarten handelt, die keinen besonderen wirtschaftlichen Wert haben.
Publikation:
Conservation status of freshwater mussels in Europe: State of the art and future challenges
Article in Biological Reviews · January 2016 /© 2016 Cambridge Philosophical Society / Impact Factor: 9.67 · DOI: 10.1111/brv.12244